Das Projekt “Spirit of Stone” machte die finnische Stadt Lappeenranta im Mai 2011 zu einem internationalen Zentrum des zeitgenössischen Autorenschmucks. In Workshops, einem Symposium, Ausstellungen und einem Nachwuchswettbewerb machten sich renommierte Schmuckkünstlerinnen und -künstler aus Estland, Finnland, Deutschland, Großbritannien, Polen, Australien, den Niederlanden, der Slowakei und der Schweiz daran, die „Seele“ des Steins zu ergründen. Entstanden ist eine Ausstellung mit Arbeiten von 22 KünstlerInnen, die als Kooperation der Saimaa University of Applied Sciences mit einer der führenden Schmuckfirmen Finnlands KALEVALA Jewelry und dem South Karelia Museum vom 08.05.2011 – 08.01.2012 in Lappeenranta gezeigt worden ist.

Einladung

Die Stadtverwaltung Idar-Oberstein zeigt in Kooperation mit dem South Karelian Museum in Lappeenranta und der Saimaa University of Applied Sciences vom 03. April bis zum 03. Mai 2012 in der Villa Bengel die Ausstellung “The Spirit of Stone”.

Zur Eröffnung der Ausstellung von 22 international renommierten SchmuckkünstlerInnen
am Dienstag, dem 03. April 2012 um 18.30 Uhr laden wir Sie und Ihre Freunde herzlich ein.

Nach der Begrüßung durch Oberbürgermeister Bruno Zimmer führt Wilhelm Lindemann in die Ausstellung ein.

Spirit of Stone – Einführungsrede von Wilhelm Lindemann

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

Für mich ist es eine besondere Freude, heute in eine Ausstellung mit dem Titel „Spirit of Stone“ einführen zu können: Seit meiner Jugendzeit, in der ich für einige Jahre Mitarbeiter der Steinbildhauer Kubach-Willmsen im nahen Bad Münster-Ebernburg war, haben mich Steine immer wieder fasziniert – in den zurückliegenden Jahren die so genannten „Edelsteine“. Dabei muss ich gestehen, dass mich Edelsteine als Naturprodukt zunächst nicht sehr viel mehr fasziniert haben als Marmor oder Granit. Ist es doch das gestaltende Werk des Menschen, das den Stein erst adelt. Würde der Mensch den Stein niemals zum Artefakt gemacht haben, indem er ihn aufhob, mit einer Deutung versehen, ihn gestaltet und ihn verbaut oder exponiert haben: niemand würde von ihm sprechen.

Erst in den unmittelbar zurückliegenden Jahren habe ich entdeckt, in welchem Maße Kristalle in die Metaphorik der Kunst der Neuzeit eingegangen sind und dass sie sehr viel mehr sind als ornamentierende Schmucksteine. Dabei denke ich nicht nur an Lyonel Feininger mit seinen expressiven Stadtansichten, Robert Delaunay mit seinen Fensterbildern oder den dynamischen Eiffel-Turm-Ansichten, sondern auch an Paul Klee, für den kristalline Strukturen den Weg in die Abstraktion bahnten.

Insofern habe ich mich auf eine Ausstellung gefreut, die sich mit dem „Geist der Steine“ beschäftigt. Und auch der sehr ansprechend gestaltete Ausstellungskatalog mit einer einfühlsamen Einführung in die steinerne Heimat der finnischen Ausstellungsmacher hat mich sehr angesprochen.

Auf den ersten Blick scheint es so, dass Steine hauptsächlich als ein hartes und unnahbares, ein sich der Bearbeitung widersetzendes Naturprodukt verstanden werden, das sich eher von der naturwissenschaftlichen, geologischen Seite her erschließt. Dabei ist das genaue Gegenteil richtig: Stein gehört zu den ältesten Kulturprodukten und den gebräuchlichsten Begleitern der Menschheit. Die ägyptischen Pyramiden wurden aus immensen Steinquadern gebildet, während die daran arbeitenden Fellachen in Lehmhütten wohnten. Die prägenden Gebäude im Stadtbild der Römer sind aus Travertin aus den benachbarten Steinbrüchen in Tivoli konstruiert. Die Leit-Denkmäler der indigenen Völker Mittel- und Südamerika wurden von Gesellschaften, die nicht einmal das Rad kannten, aus Granit geformt. Der weiße Scultatore-Marmor aus Carrara war der Schlüsselstein der Renaissance-Künstler. Das aus Granit gebaute Reichsparteitags-Gelände in Nürnberg hat die so kurzlebige Nazidiktatur inzwischen um ein Mehrfaches überdauert. Und der die Dorfbilder des Hunsrücks immer noch prägende Stein ist der Schiefer. Die eigene Blutspur befleckt die Diamanten nicht nur in der Gegenwart. Aber auch die Edelsteine haben ihre regionalen Wurzeln wie die Jade in China oder der Achat in Idar-Oberstein. Und sie haben ihre Zeitalter. Eine Auflistung, die sich noch fortsetzen ließe. Nicht nur der Vollständigkeit halber will ich das tief schürfende Buch von Richard Sennett erwähnen, in dem er die Kulturgeschichte der Stadt mit ihren vielfältigen Beziehungen zwischen Steinen und Menschen untersucht: Es heiß „Fleisch und Stein“.

Und etwas erstaunt bin ich über Zeitgenossen, die im Stein primär das sprachlose Gemurmel von „Mutter Natur“ oder das Raunen der Gottheit zu hören wähnen – in Anbetracht all dieser von mir erwähnten sprechenden Steine. Die Spur der Steine kündet also nicht nur von der Naturgeschichte – eine solche Lesart zielte viel zu kurz: Es ist vielmehr die Geschichte von Menschen und Steinen, das was Menschen in Ihnen sahen und wie sie sie in ihren Bauwerken oder Kunstwerken interpretierten.

Insofern habe ich mit Neugier den Katalog der Ausstellung aufgeschlagen. Die Ausstellung führt in das finnische Lappeenranta, jene Stadt mit der einzigen europäischen Partnerhochschule, in der auch Edelsteingestaltung gelehrt wird. Der reich bebilderte Ausstellungskatalog zeigt in der Tat eine Landschaft, die nicht alleine durch die auch bei uns bekannten unendlichen Waldlandschaften, sondern auch durch ausgedehnte Kalksteinlager und von bräunlich kristallisierende Graniten geprägt ist. „Spirit of Stone“ ist ein Projekt im Umfeld der finnischen Hochschule, das sich zum einen aus einem Wettbewerb für Studierende aus 7 europäischen Kunsthochschulen in Lappeenranta, dem gleichfalls finnischen Lahti, St. Petersburg, Edinburgh, Tallinn, der Konstfack Stockholm und unserer FH in Idar-Oberstein. In diesem Wettbewerb wurde übrigens Alexander Friedrich von der Idar-Obersteiner Hochschule mit einer Belobigung bepreist.

Das dritte Element des Projekts – neben einem theoretischen Workshop – ist die heute zu eröffnende Ausstellung, die von Eija Mustonen, der Leiterin unserer finnischen Partnerschule kuratiert wurde und zu der sie 22 international renommierte Künstlerinnen und Künstler aus der Szene des „Autorenschmucks“ eingeladen hat. Die Liste der TeilnehmerInnen liest sich wie das „Who is Who“ der zeitgenössischen europäischen Schmuckszene. Ich nenne jetzt nur einmal die TeilnehmerInnen, die bereits in der Villa Bengel ausgestellt oder in Idar-Oberstein bekannt gearbeitet haben: Piret Hirv, Eva Margis Vilems und Kadri Mälk aus Estland, Tarja Tuupanen und Tarja Lehtinen aus Finnland, Iris Bodemer, Ute Eitzenhöfer, Karl Fritsch, Deborah Rudolph und Bettina Speckner aus Deutschland, Gijs Bakker, Herman Hermsen und Ruudt Peters aus den Niederlanden. Bekannt ist uns auch Lucia Babjakova aus der Slowakei, deren Arbeiten 2009 in Idar-Oberstein bei einem Austauschsemester entstanden sind.

Eija Mustonen hat eine sehenswerte Ausstellung zusammen gestellt, die den Edelstein nicht als autonomes Kunstobjekt in das Zentrum der Betrachtung rückt, sondern ihn als zentrales ornamentierendes Gestaltungselement von Schmuck versteht.

Dabei erhebt sie nicht den Anspruch, die Verwendung von Edelsteinen im aktuellen Autorenschmuck umfassend darzustellen. So zeigt sie den Kristall nicht etwa als zur Kontemplation einladende Metapher der Kunst wie dies etwa im Werk der Munsteiner der Fall ist. Transparente geschliffene Kristalle sind eher als Ausnahme in der Ausstellung vertreten. Ihr ist es vielmehr wichtig gewesen, den Fokus auf den Edelstein als inspirierender Werkstoff für Schmuck zu setzen. Gleichwohl nutzen einige der KünstlerInnen die räumliche Qualität des Minerals – wie es zum Beispiel in den Ringen von Karl Fritsch oder den blumigen Arbeiten von Piret Hirv der Fall ist, die allerdings auch nicht die kristalline Struktur des Bergkristalls zum Ausgangspunkt ihrer ästhetischen Überlegungen nimmt, sondern die bis zum Durchscheinen matt geschliffene Oberfläche herausstellt.

Der Stein wird als naturgegebenes Ornament der Schmuckgestaltung verstanden. Dabei spielen farbliche Strukturen bei opaken Steinen oder die natürlichen Oberflächen bei ungeschliffenen transparenten Mineralen eine wichtige Rolle. So sagte mir Hermann Hermsen zu hier gezeigten seinem Ring mir Citrin vor Jahren, für ihn selbst sei bei der Gestaltung ausschließlich der farbliche Reflex des Steines von Bedeutung. Wunderschönes Beispiele sind die Tigeraugen-Brosche von Ute Eitzenhöfer oder der Tigeraugen-Halsschmuck von Iris Bodemer. Ihnen geht es also eher um die Überführung natürlicher ornamentaler Strukturen in eine abstrakte künstlerische Arbeit. Als Beispiel für die Verwendung natürlich gewachsener Minerale will ich auch den „King Kobra“-Ohrring von Kadri Mälk aus dem Jahr 1997 nehmen, die eine schwarze Koralle mit geschliffenen Farbedelsteinen kombiniert.

Die Ausstellung sammelt exemplarisch allerdings auch eine Reihe von Positionen ein, die zu den Ikonen der neueren Schmuckgeschichte zählen: so die beiden Broschen von Gijs Bakker mit im Atelier Munsteiner geschliffenen Steinen aus den Jahren 1966 und 2001, bei denen sich die gemuggelt geschliffenen Edelsteine in die schnittig-elegante Form kleiner Sportwagen einfügen. Aber auch die Lapis-Arbeit von Ruudt Peters aus dem Jahr 1997 für die er pulverisierten Aragonit neu als einem Kristall ähnlichen Schmuckstein aufgebaut hat – also als klare Absage an den natürlich gewachsenen Kristall zugunsten einer Ode an die Kunst. Gleichzeitig ist es wohl auch als brachialen Frontalangriff auf den harten Kristall zu interpretieren, der sich einer gestalterischen Bearbeitung durch den Künstler entziehen will.

Die in der Ausstellung gezeigte Auswahl belegt eines ganz eindruckvoll: Es ist nicht zutreffend, dass sich der zeitgenössische Autorenschmuck vom Edelstein verabschiedet hat. Allerdings distanziert er sich radikal von der im modernen Brillantschliff kanonisierten Formensprache, wie sie für die im Juweliersschmuck vertretenen Schmucksteine so typisch ist. Die SchmuckkünstlerInnen der Ausstellung untersuchen die ästhetischen Qualitäten natürlicher Minerale und setzen sie selbstbewusst für ihren Schmuck ein. Dabei ist der eigene Gestaltungswille bezüglich des Minerals deutlich vorrangig. Nur in geringerem Maße werden geschliffene Steine übernommen.

Allerdings verabschieden sie sich weitgehend von der im luziden Mineral kultivierten Metapher des Kristalls, die nicht nur über Jahrhunderte den Schmuck, sondern auch die Kunst mit geprägt hat.

Dies ist eine Tatsache, die es aus meiner Sicht wert ist, hinterfragt zu werden. Denkbar ist, dass die aktuell den Markt dominierenden Schliffe weitgehend kanonisierten Gestaltungsvorschriften folgen, die ein finalisierendes Gestaltungskonzept verwirklichen, dem der Schmuckkünstler nichts mehr hinzu zu setzen hat. Der „perfekte“ Schliff würde sich damit als ästhetische Sackgasse erweisen. Denkbar ist auch, dass die heutigen facettierten Schliffe wegen ihrer, dem Streben nach der Totalreflexion verpflichteten Formgebung eine so „perfekte“ glitzernde Oberfläche zeigen, dass sie sich dem freien Spiel künstlerischer Ausdeutungen entziehen: Der Glamour der Brillanten erzeugt zwar einer gewisse irritierend-attraktive Unschärfe, ohne jedoch zu freier Assoziation einzuladen. Damit repräsentierten sie lediglich nur noch sich selbst respektive ihren materiellen Wert. An dieser Stelle möchte ich an die Adresse der Edelsteinschleifer und an die Adresse der Schmuckkünstler ausrufen: da gibt es noch etwas zu tun.

Auf verdienstvolle Weise zeigt die Ausstellung einen Trend im Autorenschmuck hin zum Edelstein und stellt exemplarisch unterschiedliche Gestaltungskonzepte vor. Insofern ist die Ausstellung vor allem auch eine Ermutigung für Schmuckmacher aus der Kunstszene zur Entdeckung des Werkstoffs „Edelstein“.

Bleibt mir zum Schluss, auf den Katalog zu verweisen, der hier käuflich zu erwerben ist sowie ganz besonderen Dank an Tabea Reulecke und Ute Eitzenhöfer auszusprechen, die diese Ausstellung wieder einmal so wundervoll eingerichtet hat bzw. die diese Ausstellung nach Idar-Oberstein geholt hat.

Wilhelm Lindemann, April 2012